Filmpädagogisches Leitbild
Sehen-verstehen, gestalten-begreifen
Der nachfolgende Text zeigt mein filmpädagogisches Leitbild auf und ist ein Exzerpt aus meiner Diplomarbeit mit dem Titel: „Sehen-verstehen, gestalten-begreifen. Ein Konzept zur Verknüpfung von Theorie und Praxis in der schulischen Filmvermittlung.“ Ich möchte darlegen, wieso ich eine Filmbildung mit Praxisbezug in der schulischen Bildung für essentiell halte und welche Haltung ich in meiner praktischen Arbeit mit Schüler*innen einnehme. Abgesehen von dem nachfolgenden theoretischen Hintergrund soll ein Filmprojekt natürlich in erster Linie auch Spaß machen. 🙂
Kinder und Jugendliche wachsen in unserer industrialisierten Gesellschaft in einer von audiovisuellen Medien dominierten Umgebung auf, die häufig sogar ihre Zeitplanung und ihren Lebensrhythmus bestimmt. Eine Kompetenz, mit diesen Einflüssen umzugehen und sie zu begreifen erscheint für die Bildung Heranwachsender daher nahezu unerlässlich. Kinder und Jugendliche sollten in ihrer Entwicklung so unterstützt werden, dass sie zu einem sachgerechten, selbstbestimmten und sozialverantwortlichen Handeln in einer von Medien durchdrungenen Welt befähigt werden. Einen wichtigen Beitrag zu einer Entwicklung von Medienkompetenz kann dabei Filmbildung in der Schule leisten.
In der föderalistischen schulischen Bildung in Deutschland herrscht jedoch noch immer ein sehr printmedienorientierter Habitus und audiovisuelle Medien werden nur am Rande sehr stiefmütterlich behandelt oder allenfalls als illustrative Ergänzung für Unterrichtsthematiken genutzt. Dabei handelt es sich beim Medium Film um eine Kulturtechnik, so wie Lesen, Schreiben und Rechnen auch. Wenn ein Großteil der Schulabsolvent*innen die Schule nicht als visuelle Analphabeten verlassen soll, halte ich mindestens das Erlernen einer filmischen Bildlesekompetenz für essenziell.
Da Mündigkeit, zu deren Bildung Schule ja einen enormen Beitrag leisten soll, nicht nur bedeutet Empfänger, sondern auch Sender innerhalb eines Diskurses zu sein, muss filmische Bildung meiner Meinung nach aber noch einen ganzen Schritt weiter gehen. Sie darf sich nicht nur auf die Kompetenz der Verarbeitung von audiovisuellen Reizen (der reinen Rezeption) beziehen, sondern muss auch die Eigenproduktion von Filmen in den unterschiedlichsten Kommunikations- und Bildungskontexten beinhalten. Man bringt Kindern und Jugendlichen doch schließlich nicht nur das Lesen bei und verweigert ihnen das Schreiben.
Meine Erfahrung aus zahlreichen Praxisworkshops mit Kindern und Jugendlichen zeigt, dass sich durch das eigene künstlerisch-kreative Ausprobieren die Theorie von audiovisuellen Medien viel besser begreifen lässt: Sie wird „haptisch“. Mit dem Hintergrund dieser eigenen praktischen Erfahrung lassen sich für die Teilnehmer*innen in Zukunft diese Medien leichter rezipieren und sie lernen gesehenes besser zu artikulieren.
Selbstproduzierte Filme von Kindern und Jugendlichen bieten ihnen, egal ob sie mit dem Mobiltelefon, Tablet oder einer professionellen Kamera erstellt wurden, zudem die Möglichkeit, dass sie ihre Themen, Gefühle, Phantasien und Erfahrungen ausdrücken können und sind damit ein essentieller Teil ihrer Persönlichkeits- und Medienbildung. Ganz nebenbei wird dabei die soziale Kompetenz der Teilnehmenden gefördert, da Film immer auch Gemeinschaftsarbeit ist.
Mein erweiterter Vermittlungsansatz: „Sehen-verstehen, gestalten-begreifen“ beinhaltet, dass vor jedem filmischen Praxisworkshop ein ca. ein- bis zweistündiger Theorieblock stattfindet, in welchem die Schüler*innen mit Hilfe von Arbeitsblättern über „Filmregeln“, wie den „Grundlagen der konventionellen Bildgestaltung“, aufgeklärt werden.
Nach meinem filmpädagogischen Ansatz bekommen die Teilnehmer*innen währenddessen jedoch in Form von Filmausschnitten Gegenbeispiele gezeigt, die ihre Sehgewohnheiten unterwandern und aufgestellte Regeln in Frage stellen. Ihnen wird vermittelt, dass auch durch den Bruch von Konventionen etwas ausgedrückt werden und sich dadurch eine eigene filmische Handschrift entwickeln kann. Filmemacher*innen werden also nicht nur durch den Inhalt der Geschichte, sondern auch durch den Einsatz ihrer individuellen filmischen Gestaltungsmittel zur Autorin/ zum Autor.
Ich versuche also nach den Lehren Alain Bergalas als passeur Film aus der künstlerischen Perspektive zu betrachten und ausgehend von ästhetisch herausragenden Filmen, welche die Sehgewohnheiten der meisten Teilnehmer*innen unterlaufen, filmisches Wissen zu vermitteln. Nur der Schock und das Rätsel, welche durch das Kunstwerk erzeugt werden, sind nach der Ansicht Bergalas wirklich bildend. Schüler*innen können beim Betrachten von Filmen ruhig gefordert werden, wodurch ihre kulturelle Kompetenz gefördert wird (ästhetische Sensibilisierung).
Auf der anderen Seite halte ich es aber auch für wichtig, die Sehgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen und diese nicht abzuwerten. An ihren bisherigen Erfahrungen lässt sich anknüpfen und es kann daraus ein spannender Diskurs entstehen. Nicht zuletzt legen die filmischen Trends von heute Weichen für die Filmgeschichte der Zukunft.
In meinen Workshops versuche ich die Schüler*innen auf ästhetischer, inhaltlicher und technischer Ebene zu unterstützen. Dabei wird aber kein Rezept vorgegeben, wie man einen Film machen muss. Ich arbeite also prozess- und nicht produktorientiert mit den jungen Menschen zusammen. Sie sammeln also ihre eigenen Erfahrungen, bekommen von mir im Praxisprozess aber Hinweise und Tipps zu den vielen filmischen Gestaltungsmöglichkeiten, aus denen sich eine eigene Filmsprache entwickeln kann.
Ich möchte jungen Menschen Mut machen selbst zu filmen.